Zum Wahlrecht allgemein

Bei Bundestagswahlen gibt es zwei Stimmen:

 

 

ERSTSTIMME: Damit kann man eine Person wählen, die den eigenen Wahlkreis repräsentiert und direkt als Ansprechpartner für die Bevölkerung dienen soll. Derzeit gibt es 299 Wahlkreise, also 299 Kandidaten kommen nach direkter persönlicher Wahl in den Bundestag, egal welcher Partei diese angehören (auch unabhängige Kandidaten könnten gewählt werden).

 

ZWEITSTIMME: Diese wird oft als die wichtigere Stimme der beiden bezeichnet, denn diese bestimmt, wie viele Plätze eine Partei im Bundestag anteilig bekommt.

 

Hier gibt es zunächst ebenfalls zusätzliche 299 Sitze. Zusammen sollte der Bundestag demnach 598 Sitze haben. Hat er aber nicht.

 

Das kommt daher, weil die Direktkandidaten einer Partei, die einen Sitz erringen, auf jeden Fall im Bundestag sitzen.

 

Würde eine Partei also alle Direktmandate gewinnen, erhielte sie 299 Sitze. Wenn sie gleichzeitig aber lediglich 33 % erhalten hätte würden ihr bzgl. des Proporzes nur ca. 200 zustehen. Dieser Proporz in Bezug auf die Sitze sind auf die Länder verteilt. Baden-Württemberg hat derzeit 38 Wahlkreise und hatte zur letzten Bundestagswahl ein errechnetes Sitzkontingent von 76. Da die CDU z.B. 2017 alle 38 Wahlkreise gewonnen hatte (also die Hälfte des Sitzkontingents[1]), aber lediglich 34,4 % der Stimmen erzielt hatte, erhielten die anderen Parteien Ausgleichssitze, die zusätzlich von den jeweiligen Listen kamen. Die CDU in Baden-Württemberg schickte niemanden über die Liste in den Bundestag.

 

Früher wurden diese überhängenden Mandate nicht ausgeglichen und lediglich der Rest nach Proporz verteilt. So kam es, dass in manchen Ländern die CDU alle Kandidaten direkt und überhängend in den BT brachte und KEIN Listenplatz alleine einem Kandidaten reichte.

 

Dieser NICHTAUSGLEICH wurde u.a. durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erachtet, daher gab es eine Wahlrechtsreform, die das Stimmgewicht auf LÄNDERBASIS ermittelte und Ober- und Unterverteilungen auslöste, um Ausgleichs- und Überhangsitze vom sogenannten negativen Stimmgewicht zu befreien (Konstellationen wo durch weniger Zweitstimmen mehr Sitze entstehen und umgekehrt).

 

Das Urteil ist aber nicht der eigentliche Grund, weshalb der Bundestag so aufgebläht wurde, sondern das daraufhin erlassene Wahlrecht, das keinem weh tun sollte:                            
Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte die CDU in Baden-Württemberg alle 38 Direktmandate bei 45,7 % der Zweitstimmen (gegenüber 43% aller anderen in den BT eingezogenen Parteien über de % Hürde im Bundesland, macht eigentlich 40,1 von 78 Pseudo-Sitzen), erhielt allerdings dennoch 5 zusätzliche Listenmandate, also insgesamt 43 Mandate. Diese standen dann durch Ausgleich mit den Listensitzen der anderen Parteien im Proporz. Diese zusätzliche Zuteilung hängt mit dem Stimmgewicht zusammen und damit, dass jedes Bundesland zunächst isoliert betrachtet wird, denn es wird errechnet, wie viele Stimmen eine Partei brauchte, um einen Sitz zu erlangen. Diese Zahl wird dann überall zugrunde gelegt und führte zur Aufblähung des Bundestags. Somit wirken geringe Wahlbeteiligung und einzelne, hohe Überhänge von Direktmandaten in kleineren Bundesländern als große Hebel, die sich auf alle anderen Bundesländer auswirken und ausgeglichen werden müssen.[2]

 

Dieser spezielle Effekt trat in Baden-Württemberg 2017 nicht mehr auf, so dass mit 34,3% zwar alle 38 Wahlkreise direkt gewonnen wurden, es aber keine Listenmandate mehr für die CDU zusätzlich gab.

 

Nunmehr sollte der Bundestag nicht mehr über Gebühr wachsen und der Bundestag beschloss letzte Woche einen Kompromiss dahingehend, dass zwar dieses Mal keine Wahlkreise wegfallen sollen, jedoch für die Wahl zum 21. Bundestag (regulär 2025), Überhänge in den einzelnen Bundesländern durch errungene Listenmandate in anderen Bundesländern allerdings ausgeglichen werden sollen. Indes sollen bis zu 3 Überhangmandate möglich sein. Wie wirksam diese Änderung sein wird, bleibt abzuwarten. Auf election.de (Stand 11. Oktober 2020)[3] wird nach aktuellen Umfragen lediglich ein um 13 Mandate kleinerer BT errechnet und somit würden nach neuem Recht 738 statt der derzeit 751 Abgeordnete einziehen – angesichts der eigentlich im GG vorgesehenen Größe von 598 Abgeordneten mit Sicherheit ein „großer Schritt für die Menschheit“.  

 



[1] Zu diesen „Sitzkontingenten“ als bloße Rechengröße vgl. http://www.wahlrecht.de/bundestag/index.htm#wahlsystem-aktuell, für deren Inhalt wir KEINE Verantwortung übernehmen können.

[2] Näheres zum Stand 2017 unter http://www.wahlrecht.de/bundestag/index.htm#wahlsystem-aktuell für deren Inhalt wir KEINE Verantwortung übernehmen können: „Was in diesem Wahlsystem ein Überhangmandat ist, ist nicht mehr eindeutig definiert, da die „Überhangmandate“ der Pseudoverteilung in der weiteren Verteilung nicht mehr überhängen müssen und dann Überhangmandate an anderer Stelle auftreten können. Das ist die Konsequenz zweier unterschiedlicher Verteilprinzipien. Überhangmandate und in der Folge Ausgleichsmandate können sogar ganz ohne den Einfluss von Direktmandaten entstehen: Wenn eine Partei durch Rundungsglück, unterschiedliche Wahlbeteiligungen bzw. Anteile verlorener Stimmen sonstiger Parteien in den Ländern oder bei veralteten Bevölkerungszahlen als Basis der Sitzkontingente mehr Sitze erhält, als sie bei einer Verteilung von 598 Sitzen in der Oberverteilung erhielte, muss auch dieser Sitz ausgeglichen werden (Verzerrungsüberhang). Dieser Fall ist bei der Bundestagswahl 2013 aufgetreten.“

[3] http://www.election.de/cgi-bin/news1.pl: „08.10.20 - Berlin: Nach jahrelangen Diskussionen und zahlreichen Experten-Anhörungen ist der Bundestag zu einer Entscheidung gekommen. Mit den Stimmen der Koalition aus CDU/CSU und SPD wird das Bundeswahlgesetz bereits zur kommenden Wahl so geändert, dass einer Partei bis zu drei Überhangmandate verbleiben, ohne dass die übrigen Parteien dafür einen Ausgleich erhalten. Damit entfallen laut Modellrechnung auf der Basis der aktuellen Prognose insgesamt elf Mandate für CSU, SPD, AfD, FDP, DIE LINKE und GRÜNE. Auf der anderen Seite muss ein überhängende Partei ihre Mehrsitze teilweise intern kompensieren. Hier trifft es die CDU-Landesverbände Hamburg und Berlin, die je einen Sitz gegenüber der bisherigen Regelung verlieren, allerdings ohne Auswirkung auf den bundesweiten Gesamtproporz. Mit einer Verringerung der Sitzzahl von 751 auf 738 ist der Effekt auf die Gesamtgröße derzeit also sehr begrenzt, wie auch andere Berechnungen belegen. Dass der Rückgang nicht stärker ausfällt, liegt am Mechanismus der parteiinternen Verrechnung der Überhänge, der in allen Bundesländern zumindest die Hälfte des ursprünglichen Listenanspruchs garantiert. Die Reduzierung der Wahlkreise von 299 auf 280, die eine weitere Entlastung bei den Überhangmandate bringen soll, tritt erst 2024 in Kraft.“ Auch hier können wir für diese Homepage und deren Inhalt keine weitere Verantwortung übernehmen.