Zeitungsinterview zur Kanzlerkandidatur

Mir als Vorsitzendem des CDU-Gemeindeverbandes wurde die Ehre zuteil, in einem telefonischen Interview einer namhaften Zeitung nach meiner Meinung zur Kanzlekandidaten unserer Unionsfamilie gefragt zu werden. Die in der Zeitung gedruckte Version wurde offenbar aus Platzgründen etwas gekürzt und somit gingen einige wertvolle Aussagensplitter verloren.

 

Daher will ich zu einen darauf hinweisen, dass die zwei Brüder mit Familien, die eine gemeinsame Mannschaft bilden, meiner Meinung nach durchaus, das beste Familienmitglied zum Spielführer machen sollten - auch wenn einem der eigene Papa immer am Liebsten ist. (Diesen Halbsatz vermisse ich in der Zeitung!).

 

Zum anderen möchte ich kurz auf die Beteiligung der Basis eingehen. Diese halte ich in einer derartigen Konstellation für einen wichtigen Aspekt und ich bin keinesfalls dagegen - auch wenn in der Zeitung dieser Eindruck entstehen könnte. Über die Sinnhaftigkeit bzw. die Wirkmacht eines solchen allein basisorientierten Vorgehens kann allerdings die SPD ein schmerzhaftes Lied singen...
Andererseits haben es die Schwesterparteien CDU und CSU über die Jahrzehnte versäumt, ein förmliches Verfahren zur Kanzlerkandidatenkür zu etablieren.  Bis dato wurde mit innerparteilichen politischen Mitteln und Stimmungen eine Einigkeit zwischen den potenziellen Kandidaten erzielt. Da aber bei zwei Möglichkeiten immer nur eine Person Kandidat sein kann, halte ich es nicht für sinnvoll, den anderen dann im Rahmen seiner eigenen Partei als beschädigt anzusehen.

 

Es mag sein, dass es manche so sehen. Ich sehe es so, dass man in jedem Fall auf die Suche nach dem besten Individuum gehen soll, das kann auch in der kleineren Partei zu finden sein. Deshalb finde ich es als anmaßend, von einem Erstzugriffsrecht des CDU-Vorsitzenden zu sprechen.

 

Was gibt es also für Möglichkeiten?  Nun man könnte tatsächlich die Basis befragen und alle Mitglieder beider Parteien befragen. Hier ist folgendes zu beachten:

 

Gab es im Jahre 1990 noch 789.609 CDU-Mitglieder und 186.198 CSU-Mitglieder sind es heute (2020) 399.110 CDU-Mitglieder und 137.010 CSU-Mitglieder (Quelle Wikipedia).

 

Somit müsste bei einer Mitgliederbefragung der Gewinner - bei 100% Teilnahme - 268.061 Mitglieder-Stimmen erhalten.

 

Um eine stabile und repräsentative Beteiligung zu erzeugen, wäre hier die Nutzung von Delegierten ggf. die stringentere Lösung. Hier wäre aber die Frage 1:10 (dann wohl Briefwahl), 1:100 oder 1:1000, wobei mit jedem größeren Teiler die unmittelbare Interaktion mit der Basis verwässert würde.

 

Derzeit gibt es in dieser Konstellation lediglich wenige Gremien, die an beide Parteien einheitlich anknüpfen.

 

Das ist zum einen als Beispiel die Junge Union, die hier keinen Unterschied zwischen dem Landesverband Bayern und den anderen macht. Allerdings sind nicht alle JU-Mitglieder auch Parteimitglieder. Ferner ist die "Parteijugend" meist recht ungestüm und spiegelt ggf. die Bedachtsamkeit älterer Mitglieder nur begrenzt wieder; umgekehrt gilt freilich ähnliches.

 

So ist schließlich die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag derzeit das einzige gemeinsame Gremium beider Parteien, zumal deren Abgeordnete ja auch den Kanzler wählen müssen (allerdings in ihrer Zusammensetzung nach den Wahlen somit erst die zukünftige Fraktion, was ja zu spät wäre). Zumindest dieses Gremium sollte schon einen gewissen Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben, sollte ein Migliederbefragungsgremium wie oben angedacht nicht organisierbar sein.

 

Schließlich will ich noch einige Worte zur Partei prinzipiell verlieren. Deutschland wurde als Parteien-Demokratie ausgestaltet, wie ich schon auf der Homepage ausgeführt habe. Das heißt, es sollte auf die Programme und weniger auf Personen ankommen. Da allerdings in der globalen Welt wie auch in den Programmen immer komplexere Sachverhalte behandelt werden müssen, ist es den meisten Wählern zu kompliziert alles zu lesen und programmatisch mitzuarbeiten. Da vertrauen wir lieber einigen Personen, die möglichst viel Glaubwürdigkeit und Kompetenz austrahlen. Dies waren zum Beispiel Frau Merkel in 2013 oder ein gewisser Herr Kretschmann in 2021, die davon profitieren konnten.

 

Immer dann, wenn plakatiert wird, "wählt mich und wenn Ihr mich haben wollt, wisst Ihr ja welche Partei Ihr wählen sollt!" ist Vorsicht angebracht. Dann können die Augen groß werden, wenn die "zugehörige" "gewonnen habende" Partei mal ihr Programm auch stringent und unerbittlich umsetzt.

 

Interessant finde ich, dass z.B. die grüne Jugend bei der Koalitionsfrage in Baden-Württemberg "folgerichtig" aus dem Ergebnis schloss, dass die Grünen so stark wegen ihres Parteiprogrammes gewählt wurden und ein Herr Kretschmann da seine eigenen Präferenzen nicht so stark gewichten solle... 

 

(Hierzu ggf. noch eine Wahlnachlese auf der Hompage in Kürze).

 

Allerdings halte ich es für nicht ideal, wenn sich - wie auch leider in anderern europäischen Ländern - eine Art personenbezogener pseudo Wusch-Feudalismus herausbildet und sich auf Dauer etablieren kann. Dies führt unweigerlich zur Gefahr einer Korrumpierung, da wir alle lediglich Menschen sind, die ja zur Schwäche neigen.

 

Ungarn und Polen als derzeit schwierige Beispiele sollten uns eine Mahnung sein, übergroßen Einfluss bei Richterbesetzungen der höchsten Gerichte völlig von einer Sachexpertise zu entkoppeln und lediglich nach Parteipräferenz zu besetzen. Das sollten sich auch die Grünen in ihr Stammbuch schreiben.

 

Schnell kann das Schicksal einem auf die andere Seite verschlagen, da wären dann auf einmal ein paar Grundrechte und deren Einhaltung durch die Mächtigen/den Staat nicht schlecht.
Ich hoffe, Sie nicht zu arg gelangweilt zu haben und dass ich einiges klarstellen bzw. deutlicher ausführen konnte.

 

Viele Grüße,
Ihr/Euer

 Sven Schultheiß